13.12.2015

ASHRAF FAYADH UND WIR von M.E. Stroughton


Im Flug über Anatolien kam es wie eine Anmutung aus einer anderen Zivilisation an, die Nachricht im Daily Star/Hürriyet, Istanbul, an marginaler Stelle auf wenig Platz, aber in lesbarem Englisch: Ein gültiges Todesurteil war gegen Ashraf Fayadh, den Dichter aus Palästina, verhängt worden, ein Dichter war zur Exekution mit dem Krummschwert freigegeben, in Riyadh, Königreich Saudi Arabien, der Hauptstadt eines sagenumwobenen Landes.
Wir Deutschen, die wir im romantischen Wahn von einer Kulturweltmacht forttaumeln, haben unseren Orient in den abstrakten Konstruktionen des Surrealismus verinnerlicht. Was bedarf es da noch des eigenen wirklichen Hinsehens. Von den sich ausweitenden Sanddünen des Hejaz schwelgten wir einst mit dem Dichter Abu Ala al-Ma’arri in der Vorstellung von göttlicher Kraft über dem sich ausdehnenden Frauenrücken. Von den seltsamen Einfällen harter Jungmänner auf harten blanken Kamelrücken, wie sie in die Täler zwischen den steinigen Hügeln des Landes nach Süden hin einfielen, vermittelten die Arabian Sands von Wilfred Thesiger einen ersten Eindruck. Was das Rub‘ al-Khali aber, das leere Qadrat, wirklich bedeutet, erfuhren wir, die 1968er Studenten, aus dem Mund von saudi-arabischen Kommilitonen an der Universität, Gießen zu gegebener Zeit damals: Massengräber von aus Flugzeugen hinausgeworfenen linken Aktivisten. Wer sich eine wirklich tiefe ’orientalistische‘ Realität in der religionspolitischen Konstruktion des Landes antun will, dem empfehlen wir Mohamad Asads Autobiographie  A Road to Mecca zur Lektüre, das Buch eines vom in den 1920er Jahren vom Kommunismus zum salafitischen Islam übergetretenen Wiener Journalisten.
Dieses Land, Saudi Arabien, liegt nunmehr in der Mitte des Herzens von Deutschland. Vergessen wir unseren Surrealismus und die Stil-gerechten Massage-Hallen über der Wüste. Nie verstanden wir so richtig, warum Hans-Christian Ströbele, das Gewissen der deutschen Republik, die Waffenverkäufe dahin, nebst sauditischen Merzedes- und Rheimetall-Beteiligungen, zwar bemäkelt, nie aber mit grundsätzlicher oder gar nachrücklich bewegender Empörung beanstandet hat. Wozu diese Waffen? Wir beschwichtigten uns mit der nicht minder surrealen Vorstellung von einem im Öl schwimmenden Popanz, Warenfetischsmus, Verschwendungsökonomie und ‘Tod der Moderne‘ , warum sollten nicht auch wir dabei sein, nicht auch verdienen? Alles ja nur ein Tanz der Simulation mit Wüsten-untauglichen Waffen! Oder war es nicht doch eine grüne Stuttgarter Kapital-Verschwörung oder die des farbenblinden Essener Hügels? Niemand weiß, woher die Mittel für ein so großartig augestattetes Frankfurter Institut zur Wissenschaftsgeschichte im Islam flossen. Gerüchte! Wer es wissen will, der suche und finde!
Merkwürdig nahmen sich die Meldungen aus der ersten Woche im Dezember aus. Als wäre es schon eine Ewigkeit her, sagte unser Vize-Kanzler angestrengt, dass es für uns Deutsche untragbar sei, dieses Land immer noch mit Stillschweigen zu unterstützen. Endlich atmen wir auf, ein befreiendes Wort, oder hatte Sigmar Gabriel, auch Sozialdemokrat und Wirtschaftsminister, etwa den Mund zu voll genommen? Haben wir uns nicht daran gewöhnt, wie längsthin schon seit den Tagen des letzten Irak-Krieges, alles was wir sehen, mit jenen Vertröstungen zu vergessen, es handele sich in Arabien immer nur um Unstimmigkeiten zwischen ‚lokalen‘ religiös und ethnisch Getriebenen, um Ressentiments von sich selbst ständig in den Paria-Stand versetzenden Arabern und Muslimen, um ein ehrwürdiges aber hilfloses Königreich aus alter Wüstenzeit, um Notwendigkeiten, die Ölquellen nicht versiegen zu lassen; endlos dieses Stillschweigen im Namen der Anerkennung der Religion, den unter den Nimbus, Verwalter der Heiligen Stätten des Muhammad zu sein, unerträglich florierenden, ewig Zweitracht spendenden Terrorstaat zu dulden. Versagen hier nicht unsere eigenen großartigen Traditionen des ‚Bildlichen Denkens‘, dass wir sehenden Auges nicht einmal mehr in der Lage sind, die apodiktischen Lügen der schamlos rechtfertigenden Kommentare aufzudecken? Die Maskeraden von „Bürgern“, von „Frauen“, von eingekauften „Experten“ und „Arbeitern“ in der sozialen Wirklichkeit zu verstehen, dürfte nicht schwer fallen. Aber wollen wir denn die uns ans Herz gewachsenen „Saudis“ verstehen, das Leben unter dem täglich im Petrolio wachsenden Heer von Geldsklaven, Halbsklaven und Skalven, die ständig schwankende, performative Masse der „islamischen“ Körper? Bleiben wir beim Charakter des „Wissenschaftler als Beruf“, und was hat er davon verstanden, wie seit 35 Jahren der salafitischen Mission Halbafrikas und Halbeurasiens in jedem Dorf, jedem Viertel die islamistischen Überzeuger die neue Spalt-Sprache auf die Zunge der Menschen legen und je nach Geschlecht, Hautfarbe und Tradition mit neuen Kleidungsstücken ihre Körper überdecken?  Man käme ins Schwindeln, wenn man das alles ernst nähme. Da hat der Viezekanzler recht, man dürfe das alles nicht zu ernst nehmen, sagte er, und sinngemäß sagt er auch: Schließlich brauchen wir dieses Land ja noch. Gut, dann brauchen wir uns nicht mehr zu fragen, woher die schweren Toyotas und Humwees kommen, die wie vom Himmel in die Wüste zu fallen scheinen, die von Waffen und großen Menschen strotzenden fabrikneuen Limousinen unter schwarzen Silberfahnen? Woher? Für wen? Für welchen Zweck? Qui buono das Morden? Unvergesslich die Bilder dieser neuen Ästhetik des Totenkopfs, Schrecken der Moderne in der Wüste, und wie schlank gesellt dazu die spielerische Ästhetik des Straßenkampfs: Jeder hat Homs gesehen, auf besondere, perfektere  Art „schöner“ zerstört als die ausgebombten Städte in Deutschland. Aber haben wir es nicht verhindern können, dass ganze Generationen von Jugendlichen, in Dörfern und Stadtvierteln in Kellern und anderen Höllen von Internet-Cafes einer ausgetüftelten Medienindustrie verfallen gemacht und digital zu real lebenden Stadtguerilleros ausgebildet wurden. Fragen wir uns da immer noch, ob digitale Gewalt uns helfen könne, die lebendige zu verdrängen?
Dieser unser „Orient“, Teil unserer Weltmachtkultur, so wie wir ihn uns schon seit Karl May vorstellen, so wie wir ihn uns geformt haben und uns dabei ins Kleid der wahren Wüstenmenschen versetzt haben, das der wirklich großartigen Beduinen? Qui buono ... unsere jetzt plötzlich mordenden Waffen für den Frieden? Wo bleibt die widerstehende, die aufklärende Zivilgesellschaft? Wo sind die, denen wir so gerne folgen würden, die Bilder lesen und den Worten offene Augen folgen lassen?
Wie sich diese Bilder eben reihen, Vorstellungen und Nachrichten miteinander verbinden? Jetzt, beim Nachtflug über Ostanantolien nach Tehran ... Man wird sie nicht los, gerade hier nicht? Da jetzt bringt der Daily Star­/Hurriet, eine ‚globale‘ Errungenschaft  aus Istanbul,  am Montag, dem 7. November... ‚Inside Turkey‘ die Nachricht von einem erstaunlich zivilen Ereignis, an dem wir, die Freiheits-liebenden und Demokratie-besssenen Deutschen uns messen sollten: Eine Pressekonferenz von türkischen Intellektuellen unter Teilnahme des Künstlers Bedri Baykam findet statt, um an diesem Montag gegen das kürzlich in Riyadh  verhängte Todesurteil gegen den palästinensischen Dichter Ashraf Fayadh zu protestieren, die Öffentlichkeit gegen den Beschluß der Vollstreckung zu mobilisieren. (Bedri Baykam, Präsident der International Art Association, wird an diesem Montag, 7. Dezember um 11.30 im Piramid Sanat in Taksim, Istanbul, die Pressekonferenz eröffnen).
Der Dichter Fayadh wurde zuerst 2013 in Saudi Arabien verhaftet, nach seiner Freilassung dann 2014 erneut festgenommen und zu 4 Jahren Gefängnis und 800 Peitschenhieben verurteilt. Er hatte Einspruch eingelegt und wurde jetzt, als wäre es ein Gnadenstoß in einem Revisionsverfahren zum Tode mit alsbaldiger Vollstreckung verurteilt. Es muss gesagt werden:

ASHRAF FAYADH

Vier Jahre, wie?
Das wäre zu ertragen, wie?
Für ein paar an Gott zweifelnde Gedichte
Doch zu ertragen, wie?
Besonders im Gottesland der Wüste, was?

Ein paar plasphemische Worte
Im Café gesagt
Böswillig angeschwärzt
Am Ende gar vom Schergen selbst bestellt
Zum Donnerschlag!
Welcher sich noch Mensch nennender kann aber solche Tat verordnen

4 Jahre für einen vom Wort trunkenen Dichter, und 800 Peitschenhiebe
Wohl zu ertragen, wie?
Wer aber könnte das ertragen?
Ein im Wiskey ertrunkener Saudi-Prinz, der wohl ... genug schon abgestumpft ist, was?
An wieviel Tagen gar?
Wäre da nicht Vollstreckung
Mit Krummschwert
Eine Erlösung?

Vor 800 Hieben
Vor 800 Riemen
Vor 800 Striemen
Vor 800 blutüberströmenden Narben im Fleisch
Dichter unter Saudis?

Und wir, wir von fern, können es hören, spüren die Neugier des Plebs
Wo der große Scherge seine Schläge niederbringt
Auf die Schultern seines Opfers
Können wir das Bibbern und Zittern ertragen
Das wiederholte Schwingen der Luft unter den Hieben
Die verordnete Tat, unter der das Fleisch auf den Schultern platzt
Den im Blut verschwimmenden Rücken?

Und wir, die feinen deutschen Surrealisten?
Sagt der Vize-Kanzler,
Wir brauchen die doch noch! Die Saudis!
Wozu aber?

  
      

04.10.2015

Frankfurter Buchmesse 2015

Auch in diesem Jahr sind wir wieder auf der Frankfurter Buchmesse vom 14.-18.10.2015. Sie finden uns in Halle 3.1, Stand F 38
Verlagspräsentation der  neuen Lyrikbände von Bernd Stickelmann und Ahmed Fouad Negm am 16.10., 15.00-15.30 Uhr, Halle 3.1, F38, Lesebühne. 

22.01.2015

Strasbourg (Je suis … )



Man muss den Schrei der Dinge nicht betonen
Verkrampfte Finger über schreibender Feder wiederholen
Ein rosa Lächeln nur, es reicht,
Von dieser weiten Wolke wär‘s gekommen

Welch‘ ein Olymp von Menschenhand errichtet
Was nützt das Rennen in der Zeit
Von wo fallen die Münzen aus Gold
Was anderes trachtet uns nach Lust

Und flaches Wasser zwischen langen Hügeln
Windige Wirbelschläge von oben wie auf samtene Haut
Banale Balken aus schwarzem Holz, Lös, überall die graue Erde
Und purpurrote Macht aus gehauenem Stein

Dieses graue ruhende Flimmern am Horizont
Die schwarzen Gatter der Bäume über der Ebene
Abgetretene Sandsteintreppen, rund, entkantet und schön
Verlassene einsam sterbende Blicke aus den Dörfern

Hauptstadt Europas, und ewig wechselnder Kampf
Von Gewässern durchströmt, in Liebe tastend
Und immer Hilfe aus fernem Zürich
Wie wenig konnten die Berge helfen

Und sei’s ein graues Winterschattenkleid nur
Zerfetzte Wolkenfinsternis, Licht in Rissen
Und glatter Wasser fahles Glitzern
Vom Rand des goldenen Grunds: Europa  

12. Januar 2015, M.E. Stroughton

18.01.2015

Kritik außer Kritik: „Seifenblasen statt Emigration“


Versuch einer Replik auf die Anzeige von Gertrud Kolmars „Briefe“, (Göttingen, Wallstein 2014), … „wenn ich nicht eigentlich träume, so wache ich auch wieder nicht“...von Wolfgang Schneider (FAZ 03.01.2015, S.10)

Jüdische Existenz unter dem Faschismus, Berlin 1938 bis 1943, sie endet in Auschwitz! Da fällt zuerst ihr Bild in den Blick, es darf nicht unerwähnt bleiben, Gertrud Kolmar, die ermordete jüdische Dichterin, gleicht im Antlitz einer Schwester von Franz Kafka, dem Weltautor. Ihr einprägsames Bild greift weiter und trifft uns heute im breiteren Kontext, der globalisierten Kulturwelt. Es tritt uns in einer Schärfe des Blicks entgegen, der einen direkten Augenkontakt setzt und spontan alles sonst auf dieser Seite in Schwarz-Weiß Gedrucktes vergessen lässt. Es packt uns diese klare von innen her trotzende Sicht des widerstehenden Blicks, der unser mentales, geistiges Bewusstsein überwältigt, als gäbe es nur diese ausschließende, alles andere hinter sich verschwinden lassende Augenverbindung. Man braucht nicht, auf Bedingungen des Beschädigten Lebens, die Adorno noch prognostizierte, zurückzugreifen. Der Bezug auf das an der Gesellschaft leidende Interieur könnte – unangemessener Weise – von zu banaler, äußerlicher Art sein. Hier ist es Kraft des Innern, die sich ausdrückt, eine besondere Kraft des geistig mentalen Widerstands. „Das Höchste im Menschen“ wird, wie Goethe es forderte, als ein „in edler Tat“ gestaltetes über alle Grenzen hinweg erkennbar.

Das ist ein brisantes Thema. Es kann nicht mehr nur als ein weiterer Beitrag zur inneren deutschen Exilliteratur abgehandelt werden, wenn es auch doch zu Recht zunächst als eine deutsche Angelegenheit einschlägt!
Es ist offensichtlich, das Buch ergänzt das breite Spektrum der Literatur über innere jüdische Exilierung. Es ist, wie ich meine, jedoch nicht allein darauf festzulegen. Das, was wir aus dem Tagebuch von Anne Frank kennen, das „normale“ Leben im Versteck, wird durch den brieflichen Bericht über den offenen, gewöhnlichen Alltag bei zugleich völliger Privatheit ergänzt. Berlin, so als wäre nichts! Ein stillschweigendes Arrangement mit den Sonderbehandlungen, einschnürenden Regelungen, Unterdrückungsmaßnahmen, verästelt in kleinen und breit wirkenden, großen Erniedrigungen und Verstümmlungen des Lebenszirkels einer jungen Frau, einer Berliner Bürgerin, einer Lyrikerin. Es zeigt sich die “Normalität“ der verordneten Zusammenlegung in einer der arbeitslagerverwalteten „Judenwohnungen“! Es wird deutlich, dass diese jüdische Existenz so ist, wie sie eingerichtet wurde, ein verlorenes Leben, und doch springt ein seelisch fein gefügtes, und als solches gelebtes Leben heraus, in Briefen erzählt. Und da fällt auf:
„Je länger Gertrud Kolmar kein einziges Wort über Antisemitismus, Terror und Krieg riskiert desto mehr erscheinen ihre Briefe von ungeheuerlichen Leerstellen und Aussparungen gekennzeichnet“.

Wer es bei der Erweiterung der inneren Migrations-Saga nicht belassen will, wird nach weiterführenden Inhalten suchen müssen. Da deutet sich zunächst an, dass die Praxis der Lebensform unter Bedingungen der äußeren Verarmung und Verneinung der Existenzberechtigung zu mentalen Minimalisierungen führt, die ihre Spuren im Inneren des seelischen Lebens hinterlassen: Gertrud Kolmar gewinnt darin auch ihre Kraft, „jede Ungunst von Zeit und Raum zu besiegen“. Und dann noch, selbst die dunkle Fabrikhalle wird am Montagmorgen mit dem Gefühl betreten, „Wieder zuhause!“ zu sein. Und so, in der Ahnung des bevorstehenden Vernichtungstodes, schrieb sie zuvor schon: „So will ich auch unter mein Schicksal treten, mag es hoch wie ein Turm, mag es schwarz und lastend wie eine Wolke sein.“ 
Jeder Versuch dieses Leid, als 'intellektuelles Leid' zu verallgemeinern, verbietet sich angesichts dieser von Deutschen ermordeten „Rüstungsjüdin“, nicht nur, auch ist jeder Vergleich unangemessen! Damit wäre das Kapitel der inneren literarischen Exilierung abgeschlossen.

Mein weiteres Fragen beginnt aber hier mit uns: Nehmen wir dieser sonderlichen brieflichen Präsentation des Lebens und des Todes dieser Lyrikerin nicht den 'thrilling effect', den Schrecken, wenn es bei der bloßen Historisierung bleibt und wir ihr Schweigen nur in sich sehen und nicht weiter über es hinaus denken? Denn der Text beschäftigt uns heute und fordert uns heraus, gerade weil er aus einem besonderen lyrischen Ego im stillen, inneren -migrationsalltag spricht. Er verfehlt eben darin seine Wirkung nicht, die er auch hat, dann auch haben könnte, wenn wir ihn doch – unangemessener Weise – auf die subtilen Existenzbedingungen der (intellektuellen) Existenz in der Gegenwart beziehen würden.

Es sind da diese subtilen Träume, die Ansammlungen luftiger Züge in die Ferne und platonischer Liebe im gegenwärtigen Fabrikleben. Da haben wir den Orient: Das alte Märchen von der Zauberseifenblase wird der Nichte erzählt. Wie in eine Glaskugel hinein versetzt, möchte Kolmar über Städte, Flüsse und hohe Berge hinweg fliegen, in die Schweiz, der dorthin emigrierten Nichte wegen, und doch weiter noch über die Alpen und das Meer hinweg sich nach Palästina träumen.
Die Idee eines farbig lebendigen Landes scheint ihr vorzuschweben, als wäre es nur angefüllt von Lebensbäumen, aber nicht schon von Menschen bewohnt. In Praxis ihrer Lebensgestaltung bemüht sie sich nicht um die Reise nach dort, wenn sie sich dafür auch einem physisch-seelischen „Training“ unterzieht. Und da geht es jetzt, in diesem Deutschland, wieder um den orientalischen Honiggehalt von Dresdener Stollen, oder überhaupt um die exotischen Gewürze von jedem „braunen Pfefferkuchen“. Das Spiel mit der klar sichtbaren Unerfüllbarkeit vom inneren Frieden im Traum vom Südosten und entsprechende Trockenübungen in Richtung Orient sind wieder aktuell. Und man weiß nicht welche Sprengkraft es in sich birgt. Zur Erinnerung, Gertrud Kolmar leistet Schwerstarbeit unter Lagerbedingungen, und doch lebt sie mit diesem Paradox und will sich gewissermaßen physisch-spirituell für Palästina „trainieren“? Nein, Geistern wie Albert Einstein und Hannah Arendt wäre das nie in den Sinn gekommen! Oder doch? Unter diesen Bedingungen?

Es ist aber so, dass Gertrud Kolmar unter den gegebenen Bedingungen, – vielleicht nicht nur, man kann es nicht wissen, darf man es fragen? – „kein einziges verstelltes Wort“ riskiert, über
– Antisemitismus!
– Terror!
– Krieg!
Unter alle dem leidet sie, und sie schweigt darüber doch!
Wir sind an Begriffs-Auflistungen gewöhnt, diese des Rezensenten trifft – so fällt uns nicht eben nur unangemessener Weise ein – ein paar Leerstellen der gegenwärtigen intellektuellen Existenz! Auf welche Aussparungen oder stille Affirmation hin ist unsere, diese reflexive Lebensweise – nicht erst seit 9/11, seitdem aber mit den ungeheuerlichsten Mitteln des Öffentlichkeit-Machens in den, mit den Insider Jobs – trainiert worden? Zu Recht! Sagen wir! Oder, doch eben mit den verheerendsten psychologischen Mitteln! Also, Gertrud Kolmar, wenn wir das lesen, weist uns auch auf – to connect! – die Bedingungen unserer eigenen Existenz hin. Damit ist umzugehen! Es gibt keine „Zensurangst“, keinen „Zwangsapparat“, nur die innere Modulation von alten „triebhaften“ Erfahrungs-, Erlebnis, Ereignis-Teilnahmen: unsere irritierte Empfindsamkeit, die sich erweitert und dann verschwindet: die fortlebende Existenz des Andern!

Vielleicht kann man das Erscheinen der „Briefe“ von Gertrud Kolmar als ein Zeichen dafür lesen, wie sehr wir uns in ideeller Not befinden, weil wir mit bewegenden Fragen unserer Existenz in luftigen Bögen über Landschaften und ihre Geschichte ziehen, und gegenwärtig uns praktisch nur auf verstelltem Terrain bewegen.

M.E. Stroughton

31.12.2014

Gute Nachrichten


zum Jahresende 2014 aus Kairo: Der Greek Club hat wieder Bier und Wein im Angebot.  Wer dies zum Anlass nehmen möchte, sich vielleicht ein wenig mehr wieder mit Kairo zu beschäftigen, dann sollte er oder sie lesen. 
Hierzu eine kleine Auswahl aus dem Vantage Point World Verlag: Abduh Gubeir: Sabil al-Schachs, Kerstin Parlow: Almost Home, Enaam Magdi: Ägypten Stories.
Wir wünschen allen auf der Welt ein gutes neues Jahr 2015!

14.12.2014

Der Greek Club - ein Stück Seele in Downtown Kairo geht verloren


Der Greek Club, der griechische Club, war das Ziel. Es sollte ein Abend mit besonderer Atmosphäre sein, anregend für Beide, soviel Austausch wie möglich über das, worüber sie sich in den vergangenen Jahren, den „Revolutionsjahren“, nicht austauschen konnten. Ein Deutscher und ein Ägypter auf einem außergewöhnlichen Ausflug nach Downtown Kairo.

Sie hatten das Auto erstaunlich problemlos am Groppi geparkt und stiegen, nachdem der 'Bawab' gesagt hatte: „ayyuha maftuh (ja, es ist offen)“, entschlossen die Treppe hinauf. Aber hier schon im Treppenhaus war nur gähnende Leere, und als sie oben, völlig allein durch den Flur stiegen und in die Club-Halle kamen, wurde ihnen klar, hier war das Ende einer Kairoer Institution besiegelt. Von dem einzig und alleine anwesenden Angestellten, man kannte sich noch von früher, wurde es ihnen gesagt. Auf Anweisung des griechischen Botschafters wird es hier kein Bier und keinen Wein mehr geben... Und auch die Sessel waren neu, mit weißen Bezügen. Das Ganze vermittelte einen Eindruck von dem, wie der Botschafter sich die Zukunft des Clubs vorstellen würde. Eine Art „posch“ im Stil, aber auf die preiswerteste und einfachste Art, ein neues Klientel und ohne diese misslichen Getränke.
Empört war der Deutsche, sicher mehr als hundert Jahre hat dieser Club seine Lizenz verteidigt, gegen wen auch immer, alle Revolutionen überstanden, immer wurde hier noch, während draußen die schlimmsten Krawalle tobten, diskutiert. Immer war es ein Treffpunkt der Intellektuellen, Ausländer, der Griechen mit oder ohne ihren Familien, Freunde, Paare...Immer gehörte es für sie zur Seele Kairos. Hier durfte man sich auch durch Zufall treffen, und sei es, dass es dem Respekt vor einem Amt nicht förderlich war.
Empört war auch der Angestellte, nein, es war nicht auf Druck der ägyptischen Regierung, nein, es war nichts passiert, kein terroristischer Anschlag, oder so. Es war die alleinige Entscheidung des Botschafters...
Allen war klar, es sollte von nun an in der Kairoer Stadtkultur nicht mehr so 'griechisch' repräsentiert werden,  kein Austausch mehr bei besten ägyptischen Bieren und Weinen im Greek Club. Wo könnte man die noch trinken? Und wo sollte man von jetzt an noch ein so einfaches 'Kalbsschitzel' und neben den ägyptischen Salaten noch Kartoffelsalat oder gar „Rote Beete“ bekommen?   
Ich teilte dies Kerstin mit. Sie schrieb zurück: „Empört … wäre ich auch, wenn ich da kein Bier mehr bekommen würde. Da gab es doch sogar im Ramadan was zu trinken tagsüber. Waren einfach die Fensterscheiben zugemalt (....) und alle waren zufrieden.“

Kerstin Parlow hatte in ihrem Buch Almost Home ein eindrucksvolles Foto: Im gelben Café, Kairo (Greek Club) (S. 68/69) veröffentlicht. Hier mit ihrer Zustimmung nochmals das Bild:
   






23.11.2014

Lesung aus Nizza im Dezember


Lesung aus Nizza zur Unterstützung des Crowdfondings (http://www.startnext.de/rot02) von Ausstellungsraum Eulengasse, Frankfurt: Sonntagsmatinee 7. Dezember 2014, 11 Uhr Seckbacher Landstraße 16 Frankfurt - Bornheim Eintritt 4 Euro